Hallo Leser,
Das Stottern, das ein literarisches Genie
hervorbrachte: Die frühen Jahre von David Mitchell
David Mitchell, unbestritten einer der gefeiertsten
zeitgenössischen britischen Romanautoren, wurde am 12. Januar 1969 in
Southport, Lancashire, geboren. Die überwiegende Zeit seiner prägenden Kindheit
verbrachte er jedoch in der ruhigeren, idyllischeren Umgebung der Stadt
Malvern, Worcestershire. Über seine Familie ist wenig bekannt, außer dass er in
einer soliden Mittelschichtsfamilie aufwuchs, deren Eltern eher konventionellen
Berufen nachgingen. Entscheidend war, dass Mitchell als Kind ein ausgeprägtes Stottern
entwickelte, eine Sprachstörung, die, wie der Autor später zugab, seine
Sozialisierung und sein Selbstwertgefühl tiefgreifend beeinflusste. Es machte
ihn zu einem zutiefst unsicheren Kind und zwang ihn schließlich, sich in seine
lebendige innere Welt zurückzuziehen.
Dieser Rückzug, gepaart mit einem spürbaren Misstrauen
gegenüber seinem eigenen gesprochenen Wort, befeuerte Mitchells frühes und
intensives Interesse an Büchern und am Schreiben. Die geschriebene Sprache
wurde schnell zu seinem primären Ausdrucksmittel, einem sicheren Raum, in dem
er sich befreit fühlte und die Worte beherrschen konnte, die ihm beim Sprechen
versagten. Lesen – insbesondere Science-Fiction, Philosophie und strukturell
komplexe Erzählungen – wurde zu seiner größten Leidenschaft. Nach dem Abschluss
am Malvern College schlug Mitchell eine akademische Laufbahn ein und erwarb
einen Bachelor-Abschluss in Englischer Literatur an der University of Kent in
Canterbury. Anschließend absolvierte er ein Master-Studium in Vergleichender
Literaturwissenschaft an der University of East Anglia (UEA), wo er wertvolle
Erfahrungen und Inspiration durch die dort tätigen renommierten Dozenten
sammelte.
Nach dem Studium begann Mitchell nicht sofort mit dem
Schreiben von Romanen. Seine frühe Karrierephase war geprägt von
Auslandsaufenthalten und dem Unterrichten von Englisch. Im Jahr 1994, im Alter
von 25 Jahren, zog er nach Hiroshima, Japan, wo er eine Stelle als
Englischlehrer annahm. Dieses Jahrzehnt in Japan erwies sich als absolut
entscheidend für seine berufliche und persönliche Entwicklung. Dort, losgelöst
von seiner Heimatkultur und eingetaucht in ein neues sprachliches und soziales
Umfeld, begann er ernsthaft mit der Arbeit an seinem Debütroman. Die kulturelle
Entwurzelung, die Herausforderungen beim Erlernen der japanischen Sprache und
die Begegnung mit einer völlig anderen Weltanschauung spiegeln sich deutlich im
Umfang und der Komplexität seiner späteren literarischen Werke wider.
Somit war Mitchells Leben bis zur Veröffentlichung
seines Debütromans „Ghostwritten“ (1999) eine kontinuierliche, wenn auch
unerwartete, Vorbereitung: vom durch das Stottern bedingten Rückzug, der zu
einer traumatischen und doch zutiefst motivierenden Erfahrung wurde und ihn
dazu brachte, die geschriebene Sprache zum primären Ausdrucksmittel zu machen,
über sein Studium bis hin zu einem Jahrzehnt produktiver Isolation und
Inspiration in Japan. Diese frühen Jahre formten nicht nur seinen Intellekt,
sondern verschafften ihm auch die einzigartigen Erfahrungen, die notwendig
sind, um Geschichten von großer geografischer Ausdehnung, wechselnden Zeitzonen
und tiefen philosophischen Einsichten zu verfassen. Es war das Leben in
Hiroshima, das ihm die Möglichkeit eröffnete, den komplexen, globalen und
transkulturellen Erzählstil zu schmieden, der zu seinem literarischen
Markenzeichen geworden ist.
David Mitchells Aufstieg:
Booker-Nominierungen und Familienleben
David Mitchells Karriere begann mit bemerkenswertem
Erfolg; sein Debütroman „Ghostwritten“ (1999) wurde veröffentlicht, als er noch
in Japan lebte. Dieses Buch, das nahtlos neun unterschiedliche, aber
miteinander verwobene Erzählungen über ein riesiges geografisches und
kulturelles Spektrum von Okinawa bis New York verband, erhielt auf Anhieb große
Anerkennung. Es gewann den John Llewellyn Rhys Prize für den besten britischen
oder Commonwealth-Autor unter 35 Jahren und wurde für den Guardian First Book Award
nominiert. Diese frühe Anerkennung festigte sofort Mitchells Ruf als äußerst
ambitionierter und innovativer Geschichtenerzähler, der scheinbar disparate
Themen und Charaktere zu einem großen, kohärenten Ganzen vereinen kann.
Nach seinem erfolgreichen Debüt gab Mitchell den
Lehrerberuf auf und widmete sich ganz dem Schreiben. Seine späteren Romane
festigten diesen Ruf nur weiter. „number9dream“ (2001) wurde für die Longlist
des Man Booker Prize nominiert. Sein größter Durchbruch gelang ihm jedoch mit
„Der Wolkenatlas“ (im Original Cloud Atlas, 2004), einem Roman, der Mitchell
nicht nur seine erste Nominierung für die Booker Prize Shortlist einbrachte,
sondern auch zu einem kulturellen Phänomen wurde und später erfolgreich verfilmt
wurde. Dieses monumentale Werk, das sechs unterschiedliche, aber
spiegelbildlich strukturierte Erzählungen über mehrere Jahrhunderte vereint,
bestätigte endgültig seinen Status als Meister des „Hyper-Romans“
(hyper-novel). Es folgte „Black Swan Green“ (2006), ein halb-autobiografischer
Roman, der auf ergreifende Weise die Erfahrung des Stotterns thematisiert.
Was sein Privatleben betrifft, so verbrachte David
Mitchell den Großteil seiner professionellen Schreibkarriere in Irland. Dorthin
kehrte er nach seinem Jahrzehnt in Japan zurück und lebt derzeit mit seiner
Familie in der Grafschaft Cork. Er ist mit der Japanischlehrerin Keiko Yoshida
verheiratet und hat zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Sein
Familienleben hatte erheblichen Einfluss auf seine Arbeit. Bei seinem Sohn
wurde Autismus diagnostiziert, und diese persönliche Herausforderung
inspirierte ihn zur Übersetzung und Adaption des Sachbuchs „Ich springe in
Pfützen“ (im Original The Reason I Jump, 2013). Dies war eine gemeinschaftliche
Leistung seiner Frau und ihm, basierend auf dem Buch des japanischen
autistischen Jungen Naoki Higashida, um anderen Eltern zu helfen, die Welt des
Autismus zu verstehen.
Das Stottern, das Mitchell während seiner gesamten
Kindheit und Jugend begleitete, bleibt ein fester Bestandteil seiner Identität,
obwohl es ihm im Laufe der Jahre gelungen ist, es besser zu kontrollieren. Er
ist ein aktiver Unterstützer der Stotter-Gemeinschaft und stottert immer noch,
kann aber mit speziellen Techniken in der Öffentlichkeit relativ fließend
sprechen. Mitchell betont oft, dass es gerade seine Sprachstörung war, die ihn
zum Schriftsteller gemacht hat, indem sie ihn dazu zwang, das geschriebene Wort
als sicheres und zuverlässiges Ausdrucksmittel wertzuschätzen. Seine
Unfähigkeit, frei zu sprechen, trieb ihn dazu an, den außergewöhnlich reichen
und vielfältigen Chor von Stimmen in seinen Romanen zu kreieren.
Über seine kreative Philosophie betont Mitchell, dass
seine Schreibrituale äußerst diszipliniert sind. Er versucht, täglich etwa
1.000 Wörter zu schreiben und hält sich an einen strengen Arbeitsplan. Er
schreibt häufig von Hand, bevor er den Text in den Computer überträgt, da er
meint, dass ihm der physische Akt des Schreibens helfe, den Rhythmus der
Sprache besser zu spüren. In seinen Werken ist Mitchell bekannt für die
Erforschung der Themen Metempsychose und Reinkarnation, die er verwendet, um
separate Erzählungen über verschiedene Zeiten und Orte hinweg zu verbinden und
so ein ganzes Erzähluniversum zu konstruieren, das Fans liebevoll das
„Mitchellverse“ nennen.
Mitchells spätere Romane, wie „Die tausend Herbste des
Jacob de Zoet“ (im Original The Thousand Autumns of Jacob de Zoet, 2010), ein
historischer Roman, der im Japan des achtzehnten Jahrhunderts spielt, und „Der
Knochen-Clock“ (im Original The Bone Clocks, 2014), ein weiteres für den Booker
Prize nominiertes Werk, das Fantasy-Elemente mit zeitgenössischer Geschichte
verbindet, haben seine meisterhafte Fähigkeit, Genres und Kulturen zu
verschmelzen, nur noch verstärkt. Sein Stil zeichnet sich durch eine erstaunliche
Vielfalt an Sprache und Stimmen aus, die jedem Teil seiner Bücher einen
einzigartigen Klang verleiht. Sein jüngster Roman, „Utopia Avenue“ (2020), ist
eine Hommage an die Rockmusik und erzählt die Geschichte einer fiktiven
britischen Band aus den 1960er Jahren.
Auf die Frage, was Schreiben für ihn bedeute, sagte
Mitchell einmal, es sei „ein Weg, dem Wahnsinn zu entkommen“. Er bekräftigt,
dass der kreative Prozess ihm helfe, das Gleichgewicht zu halten, und dass das
Schreiben nicht nur eine Karriere sei, sondern ein notwendiges Mittel, um das
Chaos und die Ängste des Lebens zu verarbeiten, die ihn seit seiner Kindheit
begleiten. Er ist einer der wenigen zeitgenössischen Autoren, denen es gelungen
ist, anspruchsvolle Literatur erfolgreich mit Genre-Fiction zu verschmelzen,
indem er demonstriert, dass das, was fragmentarisch und getrennt erscheint, in
Wirklichkeit zutiefst miteinander verbunden ist.
Maištinga Siela

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